Klimaklagen und Klimaschutz: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Klimaklagen und Klimaschutz: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Auseinan­der­set­zung mit dem Kli­mawan­del und seinen Fol­gen hat in den let­zten Jahren eine neue Dimen­sion erre­icht: Kli­mak­la­gen. Diese Kla­gen, oft von Einzelper­so­n­en, NGOs oder sog­ar Städten angestrengt, zie­len darauf ab, Regierun­gen und Unternehmen für unzure­ichende Kli­maschutz­maß­nah­men zur Ver­ant­wor­tung zu ziehen. Eine zen­trale Frage in diesem Kon­text ist, inwieweit das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts vom März 2021 den Weg für zukün­ftige Kli­mak­la­gen ebnet und den Kli­maschutz in Deutsch­land nach­haltig bee­in­flusst. Dieses Urteil, das die Rechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen stärkt, kön­nte einen Wen­depunkt in der Auseinan­der­set­zung um eine ambi­tion­iert­ere Klimapoli­tik darstellen und die Rel­e­vanz von Grun­drecht­en im Angesicht der Kli­makrise unter­stre­ichen.

Der Hintergrund: Klimaschutz als Verpflichtung und die Rolle des Bundesverfassungsgerichts

Der Kli­maschutz ist längst nicht mehr nur eine poli­tis­che Frage, son­dern eine ver­fas­sungsrechtliche Verpflich­tung. Das Grundge­setz verpflichtet den Staat, die natür­lichen Lebens­grund­la­gen zu schützen und zu bewahren (Art. 20a GG). Konkretisiert wird dieser Auf­trag durch das Kli­maschutzge­setz (KSG), das die Kli­maziele Deutsch­lands fes­tlegt und Maß­nah­men zur Reduk­tion von Treib­haus­gase­mis­sio­nen vorschreibt.

Das Bun­desver­fas­sungs­gericht hat in den Diskurs um den Kli­maschutz einge­grif­f­en, indem es sich mit ein­er Ver­fas­sungs­beschw­erde auseinan­der­set­zte, die von jun­gen Men­schen ein­gelegt wurde. Die Beschw­erde­führer argu­men­tierten, dass die bish­eri­gen Kli­maschutz­maß­nah­men nicht aus­re­ichend seien, um ihre Grun­drechte auf Leben und Gesund­heit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Eigen­tum­srecht (Art. 14 GG) zu schützen. Sie sahen ins­beson­dere das Prinzip der Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit ver­let­zt, da zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen die Haupt­las­ten der Kli­makrise tra­gen müssten. Das Gericht musste also klären, inwieweit der Staat verpflichtet ist, bere­its heute Maß­nah­men zu ergreifen, um die Lebens­grund­la­gen zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen zu sich­ern. Die Kli­maschutzpflicht des Staates stand somit im Zen­trum der Auseinan­der­set­zung.
Quelle: Das deutsche Bun­des-Kli­maschutzge­setz im Überblick | Eco­log­ic

Kernpunkte des Urteils von 2021: Grundrechte und Generationengerechtigkeit

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18) markiert einen Meilen­stein im deutschen Kli­maschutzrecht. Das Gericht stellte fest, dass die bish­eri­gen Kli­maschutz­maß­nah­men teil­weise ver­fas­sungswidrig sind, da sie die Grun­drechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen ver­let­zen. Konkret bean­standete das Gericht, dass das Kli­maschutzge­setz zwar Reduk­tion­sziele für Treib­haus­gase­mis­sio­nen bis zum Jahr 2030 vor­sieht, aber keine aus­re­ichen­den Vor­gaben für die Zeit danach enthält. Dies führe dazu, dass die Emis­sion­sre­duk­tio­nen nach 2030 in unver­hält­nis­mäßiger Weise auf zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen ver­lagert wür­den, was deren Frei­heit­srechte beein­trächtige.

Das Gericht betonte, dass der Staat bei der Gestal­tung des Kli­maschutzes dem Prinzip der Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit Rech­nung tra­gen muss. Dies bedeutet, dass die Las­ten der Kli­mawan­del­bekämp­fung fair auf alle Gen­er­a­tio­nen verteilt wer­den müssen. Zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen haben ein Recht auf Zukun­ftssicherung und dür­fen nicht durch unzure­ichende Kli­maschutz­maß­nah­men unver­hält­nis­mäßig belastet wer­den. Das Gericht forderte den Geset­zge­ber auf, bis Ende 2022 detail­liert­ere Regelun­gen für die Reduk­tion­sziele nach 2030 zu tre­f­fen, um die Kli­maziele langfristig zu sich­ern und die Grun­drechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen zu gewährleis­ten. Das Urteil unter­stre­icht die Bedeu­tung der Grun­drechte im Kon­text des Kli­maschutzes und set­zt einen neuen Maßstab für eine ambi­tion­iert­ere Klimapoli­tik in Deutsch­land.
Quelle: Entschei­dung find­en — Beschluss vom … — Bun­desver­fas­sungs­gericht

Auswirkungen des Urteils auf das Klimaschutzgesetz und die Klimapolitik

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts vom 24. März 2021 hat­te unmit­tel­bare Auswirkun­gen auf die Klimapoli­tik der Bun­desregierung und führte zu ein­er Nov­el­lierung des Kli­maschutzge­set­zes (KSG). Das Gericht hat­te fest­gestellt, dass die bis dahin vorge­se­henen Kli­maschutz­maß­nah­men nicht aus­re­icht­en, um die Grun­drechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen zu schützen. Ins­beson­dere die fehlende Konkretisierung von Reduk­tion­sp­faden für die Zeit nach 2030 wurde als prob­lema­tisch ange­se­hen.

Die Bun­desregierung reagierte auf das Urteil mit ein­er Ver­schär­fung der Kli­maziele und ein­er Anpas­sung des Kli­maschutzge­set­zes. Die Nov­el­le des KSG, die kurz nach dem Urteil ver­ab­schiedet wurde, sieht nun vor, dass Deutsch­land seine Treib­haus­gase­mis­sio­nen bis 2030 um min­destens 65 Prozent gegenüber 1990 senken muss. Bis 2040 sollen die Emis­sio­nen um 88 Prozent sinken, und bis 2045 soll Deutsch­land kli­ma­neu­tral sein. Diese Ziele sind nun im Gesetz ver­ankert und bilden die Grund­lage für die Klimapoli­tik der Bun­desregierung.

Um diese ambi­tion­ierten Ziele zu erre­ichen, wur­den ver­schiedene Kli­maschutz­maß­nah­men ver­stärkt oder neu einge­führt. Dazu gehören unter anderem der Aus­bau erneuer­bar­er Energien, die Förderung der Elek­tro­mo­bil­ität, die Steigerung der Energieef­fizienz von Gebäu­den und die Reduk­tion von Emis­sio­nen in der Indus­trie. Auch der Kohleausstieg, der ursprünglich bis 2038 geplant war, wird nun voraus­sichtlich vorge­zo­gen. Die konkrete Umset­zung dieser Maß­nah­men wird in den kom­menden Jahren von entschei­den­der Bedeu­tung sein, um die Kli­maziele tat­säch­lich zu erre­ichen.

Klimaklagen nach dem Urteil: Neue Perspektiven und Herausforderungen

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts hat zweifel­los die Erfol­gsaus­sicht­en zukün­ftiger Kli­mak­la­gen in Deutsch­land und inter­na­tion­al bee­in­flusst. Es hat gezeigt, dass Gerichte bere­it sind, die Rechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen im Kon­text des Kli­maschutzes zu schützen und staatliche Maß­nah­men auf ihre Vere­in­barkeit mit den Grun­drecht­en zu über­prüfen. Dieses Sig­nal hat die Tür für weit­ere Kli­mak­la­gen geöffnet.

In Deutsch­land gibt es bere­its mehrere Beispiele für Kli­mak­la­gen, die sich auf das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts berufen. So haben beispiel­sweise Einzelper­so­n­en und Umwel­tor­gan­i­sa­tio­nen Kla­gen gegen die Bun­desregierung ein­gere­icht, um eine ambi­tion­iert­ere Klimapoli­tik zu erzwin­gen. Auch auf inter­na­tionaler Ebene gibt es eine wach­sende Zahl von Kli­mak­la­gen, die sich gegen Staat­en und Unternehmen richt­en, die für einen erhe­blichen Teil der glob­alen Treib­haus­gase­mis­sio­nen ver­ant­wortlich sind. Ein Beispiel hier­für ist die Klage von Jugendlichen gegen mehrere europäis­che Staat­en vor dem Europäis­chen Gericht­shof für Men­schen­rechte.

Die Jus­tizia­bil­ität des Kli­maschutzes ist jedoch weit­er­hin mit rechtlichen Hür­den ver­bun­den. Eine der größten Her­aus­forderun­gen beste­ht darin, den Kausalzusam­men­hang zwis­chen den Hand­lun­gen eines Beklagten und den konkreten Auswirkun­gen des Kli­mawan­dels nachzuweisen. Auch die Frage der indi­vidu­ellen Betrof­fen­heit spielt eine wichtige Rolle. Kläger müssen in der Regel nach­weisen, dass sie durch den Kli­mawan­del in ihren Recht­en ver­let­zt sind. Trotz dieser Her­aus­forderun­gen haben Kli­mak­la­gen das Poten­zial, die Klimapoli­tik zu bee­in­flussen und Unternehmen und Staat­en zu ein­er stärk­eren Ver­ant­wor­tung für den Kli­maschutz zu bewe­gen. Ver­fas­sungs­beschw­erde | Ger­man­watch e.V. – Ger­man­watch informiert über Ver­fas­sungs­beschw­er­den im Kon­text des Kli­maschutzes.

Die Justiziabilität des Klimaschutzes: Ein Paradigmenwechsel?

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts kön­nte tat­säch­lich einen Par­a­dig­men­wech­sel in der Jus­tizia­bil­ität des Kli­maschutzes darstellen. Indem das Gericht die Grun­drechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen betont und die Notwendigkeit ein­er ambi­tion­iert­eren Klimapoli­tik fest­stellt, hat es den Weg für eine stärkere Ein­klag­barkeit von Kli­maschutzrecht­en geeb­net. Dies bedeutet, dass Kli­maschutz nun nicht mehr nur eine poli­tis­che Zielset­zung ist, son­dern auch eine rechtliche Verpflich­tung, die vor Gericht durchge­set­zt wer­den kann.

Die Kon­se­quen­zen dieses Par­a­dig­men­wech­sels sind weitre­ichend. Unternehmen, die gegen Kli­maschutzvorschriften ver­stoßen oder einen erhe­blichen Beitrag zu Treib­haus­gase­mis­sio­nen leis­ten, müssen nun mit Kla­gen rech­nen. Auch staatliche Insti­tu­tio­nen kön­nen für unzure­ichende Kli­maschutz­maß­nah­men zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den. Dies kön­nte zu ein­er stärk­eren Rechts­durch­set­zung im Bere­ich des Kli­maschutzes und zu ein­er höheren Staat­shaf­tung führen.

Es ist jedoch wichtig zu beto­nen, dass die Jus­tizia­bil­ität des Kli­maschutzes weit­er­hin ein kom­plex­es und sich entwick­el­ndes Feld ist. Die konkreten Auswirkun­gen des Urteils des Bun­desver­fas­sungs­gerichts auf die Recht­sprax­is wer­den sich erst in den kom­menden Jahren zeigen. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte in Zukun­ft mit Kli­mak­la­gen umge­hen wer­den und welche Kri­te­rien sie bei der Beurteilung von Kli­maschutz­maß­nah­men anwen­den wer­den.

Kritik und offene Fragen

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts zum Kli­maschutzge­setz wurde zwar mehrheitlich pos­i­tiv aufgenom­men, sieht sich aber auch kri­tis­chen Stim­men gegenüber. Ein zen­traler Punkt der Kri­tik bet­rifft die Frage, ob das Gericht seine Rolle über­schrit­ten und in die poli­tis­che Geset­zge­bung einge­grif­f­en hat. Juris­ten und Poli­tik­er disku­tieren, ob die Fest­stel­lung ein­er poten­ziellen zukün­fti­gen Grun­drechtsver­let­zung durch heutige Emis­sio­nen die klas­sis­che Funk­tion der Ver­fas­sungs­gerichts­barkeit nicht sprengt. Kri­tik­er argu­men­tieren, dass das Gericht poli­tis­che Entschei­dun­gen und Zielkon­flik­te, die eigentlich dem Geset­zge­ber obliegen, vor­weg­n­immt.

Offene Fra­gen ergeben sich ins­beson­dere bei der Umset­zung des Urteils und der daraus resul­tieren­den Wirk­samkeit der ver­schärften Kli­maziele. Es bleibt abzuwarten, ob die Nach­schär­fung des Kli­maschutzge­set­zes und die definierten Jahre­se­mis­sions­bud­gets aus­re­ichen, um die im Urteil einge­forderte Frei­heitssicherung für zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen tat­säch­lich zu gewährleis­ten. Die Zuweisung von Emis­sions­bud­gets auf Sek­toren wie Verkehr und Gebäude birgt weit­er­hin Kon­flik­t­poten­zial und erfordert konkrete, ambi­tion­ierte Maß­nah­men.

Weit­ere Zukun­fts­fra­gen betr­e­f­fen die Rolle von Kli­mak­la­gen auf nationaler und inter­na­tionaler Ebene. Wird das deutsche Urteil Präze­den­zwirkung für andere Län­der haben? Wie wer­den Gerichte in Zukun­ft mit kom­plex­en wis­senschaftlichen Prog­nosen und der Zurechen­barkeit von Emis­sio­nen umge­hen? Das Urteil hat die Tür für eine Weit­er­en­twick­lung des Kli­maschutzrechts geöffnet, dessen genaue Aus­gestal­tung und gerichtliche Über­prü­fung in der Prax­is noch erprobt wer­den muss. Die Bal­ance zwis­chen staatlich­er Schutzpflicht, indi­vidu­ellen Frei­heit­srecht­en und den Her­aus­forderun­gen ein­er glob­alen Prob­lematik wie dem Kli­mawan­del bleibt Gegen­stand inten­siv­er rechtlich­er und poli­tis­ch­er Debat­ten.

Fazit

Das Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts vom März 2021 markiert einen Wen­depunkt im deutschen Kli­maschutzrecht und in der Klimapoli­tik. Indem es den Kli­maschutz als ver­fas­sungsrechtliche Schutzpflicht ver­ankerte und ins­beson­dere die Grun­drechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen vor unver­hält­nis­mäßiger Emis­sion­slast schützte, stärk­te es die Grund­lage für eine ambi­tion­iert­ere Klimapoli­tik. Die Notwendigkeit, die Frei­heitsspiel­räume kün­ftiger Gen­er­a­tio­nen zu sich­ern, führte zur Forderung nach schnelleren und weitre­ichen­deren Emis­sion­sre­duk­tio­nen.

Das Urteil hat das Kli­maschutzge­setz maßge­blich bee­in­flusst und zu ein­er Nov­el­lierung geführt. Es hat zudem die Jus­tizia­bil­ität des Kli­maschutzes deut­lich erhöht und gezeigt, dass Kli­mak­la­gen ein wirk­sames Instru­ment sein kön­nen, um den Staat zur Ein­hal­tung sein­er Kli­maschutzpflicht­en anzuhal­ten. Obwohl das Urteil auch Kri­tik her­vor­rief und viele Fra­gen zur prak­tis­chen Umset­zung offen­bleiben, hat es die Dringlichkeit des Han­delns im Kli­maschutz ein­drück­lich unter­strichen und die Per­spek­tiv­en für die Kli­mazukun­ft in Deutsch­land neu justiert. Es bleibt ein bedeu­ten­des Sig­nal für die Ver­ant­wor­tung der Gegen­wart gegenüber der Zukun­ft.

Weiterführende Quellen